„Wer der Folter erlag, kann nicht mehr heimisch werden in einer Welt, in der das Prinzip Hoffnung herrscht.“ (Jean Amery, 1988, S.58)
Extrembelastungen, Folter und seelische Verletzung betreffen das menschliche Weltverständnis in seiner psychophysischen und psychosozialen Gesamtheit, es kommt zu einem „Riss zwischen Individuum und Umwelt“ (vgl. Fischer und Riedesser, 2009) – zu einer Zerstörung der menschlichen Integrität – wie auch Jean Amery es erleben musste und im o.a. Zitat formuliert hat.
Der Begriff Trauma kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Wunde“ – im psychologischen Zusammenhang meinen wir damit „innere Wunden“.
Der Begriff Trauma wird in den letzten Jahrzehnten sehr häufig verwendet. Wir begreifen, wie David Becker, das Trauma als prozesshaftes Geschehen und nicht ausschließlich als „psychische Folge eines eingegrenzten Ereignisses“. Psychische Belastungserkrankungen können Folgen dieser Verwundung sein.
Die häufigste Diagnose, nach denen Flüchtlingen behandelt werden ist die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS oder PTSD post traumatic stress disorder). Sie und alle anderen Traumafolgestörungen sind in den Klassifikationssystemen und Krankheitsmanualen des ICD-10 und DSM V ausführlich beschrieben und nachlesbar.
Sie dienen der medizinischen Beschreibung von Symptomen traumatischer Leidenszustände, der Differentialdiagnostik, der Verständigung auf fachlicher Ebene und der Behandlungsplanung.
Manche unserer Klienten sind dankbar über eine Diagnose, die ihrem „unbeschreiblichen“ Leidenszustand einen Namen gibt.
Es lassen sich grob 3 Kernsymptomkomplexe beschreiben:
- das Wiedererleben der traumatischen Situationen: überflutende Erinnerungen, quälendes Wiedererinnern, Alpträume, Rückblenden (Flashbacks), Reinszenieren
- das Vermeiden: von schmerzhaften Erinnerungen, Gedanken, Situationen, Personen; Dissoziationen, Rückzug, vermindertes Interesse an früher wichtigen Tätigkeiten, Gefühl der Entfremdung, Erinnerungslücken.
- die Übererregung: gesteigerte Schreckhaftigkeit und Erregung, ständige „Alarmbereitschaft“, Nervosität, Merk- und Konzentrationsstörungen, erhöhte Reizbarkeit, Schlafstörungen
Häufig beobachtbar sind Begleiterkrankungen wie Orientierungsstörungen, Essstörungen, Schmerzzuständen. Weitere psychiatrische Folgen von Extremtraumatisierungen können Persönlichkeitsveränderungen nach Extremtrauma, schwere Depressionen, dissoziative Störungen und Psychosen sein (Fischer/ Riedesser, 2003).
Fischer und Riedesser verstehen Trauma als „ein vitales Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst – und Weltverständnis bewirkt. (ebd. 2009, S.84)
Auch wenn die Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung ihre Wichtigkeit und Berechtigung hat, greift in unserem psychotherapeutischen Verständnis die Diagnose manchmal etwas kurz. Sie bleibt eine Krücke, die die reale, komplexe Situation unserer KlientInnen nur mangelhaft abbildet.
Die PTBS lässt den Kontext unbeachtet und das Prozesshafte am traumatischen Geschehen findet kaum Berücksichtigung. Gerade das „Danach“ spielt eine wesentliche Rolle in der Traumaverarbeitung der Betroffenen, wie bereits Keilson 1979 in seinem Konzept der sequentiellen Traumatisierung feststellte. Wir sehen die Störung als normale Reaktion auf eine „gestörte“ Umwelt (Krieg, Folterer, Gewalttäter) und weniger als Störung des Patienten. Durch die Pathologisierung des einzelnen bleibt der Kontext unhinterfragt. Zudem entspricht es selten der Realität, dass das Traumatische schon vorüber ist (post) – unsere KlientInnen befinden sich aufgrund der latenten Gefahr vor Abschiebung in einem anhaltenden unsicheren Zustand, der einer prozesshaften „sequentiellen Traumatisierung“ (Keilson) gleicht.
Die Bedeutung und Definition von Trauma geben die Betroffenen selbst aus ihrem jeweiligen kulturellen Verständnis heraus. (vgl. Becker, 2003).
„The overall aim of therapy with traumatized patients is to help them move from being haunted by the past and interpreting subsequent emotionally arousing stimuli as a return of the trauma, to being present in the here and now, capable of responding to current exigencies to their fullest potential.”
(Van der Kolk B./ Mc Farlane A/ Weisaeth L,2007)
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